Text und Foto von Frank Ermer
Volksstimme, Samstag, 03. März 2018, Seite 18, Elb-Havel-Echo
Fachtagung zur Geschichte der Kriegsgefangenenlager des Ersten Weltkriegs auf dem Territorium Sachsen-Anhalts
Am 3. März 2018 fand in der Aula des Domgymnasiums Merseburg die Fachtagung zum Thema „Die Kriegsgefangenen-lager des Ersten Weltkriegs auf dem Territorium Sachsen-Anhalts“ statt. Das Grußwort zu Beginn der Veranstaltung sprach der Präsident der Landesheimat-bundes Sachsen-Anhalt e.V. Prof. Dr. Konrad Breitenborn. Der Tagungsort wurde mit Bedacht ausgewählt, da die Sonderausstellung „Heimat im Krieg 1914/18“ derzeitig im Kultur-historischen Museum Schloss Merseburg zu sehen ist. Im Laufe des Jahres, wird sie noch an weiteren Orten wie Zeitz und Tangermünde ausgestellt. Abschließend ist sie ab dem 01.12.2018 im Prignitz-Museum Havelberg zu sehen.
Über das Leben und Schicksal der Gefangenen, ist von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur wenig bekannt. Fundierte Erkenntnisse liegen auf dem Territorium von Sachsen-Anhalt bisher nur für das Kriegsgefangenenlager in Quedlinburg vor. Zahlreiche neue Hintergründe und Erkenntnisse boten auf der interdisziplinär angelegten Tagung einen breiten Überblick, über den derzeitigen Stand der Forschungsergebnisse für die einzelnen Kriegsgefangenenlager auf dem heutigen Territorium von Sachsen-Anhalt. Die Beiträge der Tagung und die weiterführende Forschungsarbeit und deren Ergebnisse werden in einem Buch publiziert. Die Leitung für dieses Projekt hat der Landesheimatbundes Sachsen-Anhalt e.V. in Kooperation mit dem Museumsverband Sachsen-Anhalt e.V., der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt, dem Merseburger Altstadtverein e.V., den Dozenten Jan Stenzel – Kulturhistorisches Museum Merseburg, PD Dr. Thomas Wozniak – Eberhard Karls Universität Tübingen, Volker Demuth – Universitetet i Stavanger, Dr. Lutz Miehe – Ministerium für Inneres und Sport Sachsen-Anhalt, Frank Ermer – Heimatverein Havelberg e.V., Dr. Marie-Therese Mäder, Christian Drobe – Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Dr. Zorica Puškar, Thomas Gallien Humboldt-Universität zu Berlin, Florian Thomas, John Palatini – Pflug e.V. Wittenberg, Simone Habendorf – Stadtarchiv Stendal, Agnes-Almuth Griesbach – Museum der Stadt Zerbst/Anhalt und zahlreichen weiteren Institutionen und Vereinen die hier nicht weiter genannt sind.
Welche Hintergründe bildeten die Wiederaufnahme dieses Themas für eine Fachtagung. Während des Ersten Weltkriegs gerieten Zwischen 6,6 und 8 Millionen Soldaten in Gefangenschaft. Die Zahl der Gefangene, die sich 1918 noch auf dem Gebiet des Deutschen Reiches befanden, belief sich auf 2,4 Millionen, davon wurden über 180.000 auf dem heutigen Territorium Sachsen-Anhalts. Nach heutiger Kenntnis wissen wir, dass die Gefangenen sich aus 13 unterschiedliche Staaten rekrutierten. Zur Unterbringung mussten 1914 in größter Eile zwölf Lager eingerichtet werden, drei für Offiziere (Halle, Magdeburg und Burg) und neun für Mannschaften und Zivilisten (Kleinwittenberg, Merseburg, Altengrabow, Zerbst, Quedlinburg, Gardelegen, Stendal, Salzwedel und Havelberg). Allein im Merseburger Mannschaftslager wurden zwischen 1914 und 1919 über 40.000 Soldaten aus Russland, Frankreich und England gefangen gehalten. Die Situation des Havelberger Lagers änderte sich bereits im ersten Kriegsjahr, im November 1914, als das Generalkommando die Umwandlung des Kriegsgefangenenlagers in ein Internierungslager verfügte. Die Lager in Havelberg hatten eine Aufnahmekapazität von 10.000 Gefangenen. Gefangene aus 8 Nationen sind hier nachweisbar. Die größte Anzahl kam aus Russland, aber auch Engländer, Belgier, Franzosen, Italiener, Inder, Algerier und Marokkaner waren hier interniert.
Die Unterbringung und Versorgung hunderttausender Kriegsgefangener stelle das Deutsche Reich, aber auch die Kriegsgegner vor eine schier unlösbare Aufgabe, auf die sie nicht vorbereitet waren, da man auf einen Blitzkrieg hoffte.
Die hygienische Situation in den Lagern war vor allem zu Beginn des Krieges eine Herausforderung, die zu bewältigen gab. Auch das Havelberger Lager wurde von einer verheerenden Epidemie Flecktyphus heimgesucht, vielen Opfer waren hier zu beklagen.
In den Lagern entwickelte sich auch ein mitunter faszinierendes kulturelles Leben, welches auf der Tatsache beruht, dass so viele unterschiedliche Kulturen und Völkergruppen auf so engen Raum zusammenleben mussten. In vielen Museen des Landes sind heute anhand von Erinnerungen und Zeitzeugen, wie z.B. Zeichnungen, Gemälden, Grafiken, Fotografien und Bastelarbeiten aus Stroh zu besichtigen und bilden heute vielerorts die Grundlage für die nun wieder angestoßen Aufarbeitung des vor 100 Jahren geschehenen.
In unzählige Arbeitskommandos aufgeteilt, befanden sich Kriegsgefangene in nahezu jedem Winkel und jeder Ecke des Landes. Die Landwirtschaft war für die Gefangenen das größte Betätigungsfeld, aber auch in der Industrie wurden sie eingesetzt. So z.B. für den Aufbau der Leunawerke, des Reichsstickstoffwerkes bei Wittenberg und in der Tonindustrie im Havelländischen Raum. Die Kriegsgefangenen waren eine bedeutende und unverzichtbare Ressource, da die eigenen kämpfenden Männer, für das Kaiserreich an der Front standen. So bildete sich auch eine eigene Front im Heimatland, die sich mit dem stetig verschärfenden Mangel an Lebensmittel und Dingen des täglichen Bedarfs, der Erfahrung von Verlust und Trauer der Angehörigen und der zunehmenden Präsenz von Kriegsinvaliden auseinandersetzen musste.
Einige Tausend von ihnen sind in Gefangenschaft verstorben, so allein in Merseburg ca. 800, in Wittenberg ca. 900 und in Havelberg ca. 740. Ihre Kameraden errichteten ihnen Gedenksteine auf den Grabfeldern, die heute immer noch an das Geschehen vor 100 Jahren erinnern.
Der Vortrag wird im Zuge der Wintervortragsreihe am 15.03.2018 | 18:30 Uhr im ArtHotel Kiebitzberg noch einmal gehalten.